Die Corona-19-Pandemie wird eine Zäsur für die Stiftung „Ein Platz für Kinder“ sein. „Uns ist bewusst, was in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird“, sagt Johanna Ruoff. Sie rechnet mit dramatischen Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche; vor allem aus ohnehin benachteiligten Schichten. „Die Anforderungen an uns werden exorbitant steigen. Das heißt: Wir brauchen in Zukunft mehr Mattisburgen in Deutschland.“
Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich seit Beginn der Covid-19-Pandemie noch einmal extrem verschlechtert. Durch Lockdown, Schulverbote und fehlende Strukturen sowie einen Mangel an Außenkontakten – z.B. zu Lehrerinnen und Lehrern sowie Gleichalterigen – sind Kinder der physischen und psychischen Gewalt überforderter Eltern hilflos ausgeliefert. „Das ganze Ausmaß der Tragödie des Jahre 2020/21 ist noch gar nicht in allen Facetten absehbar“, so Ruoff. Johanna Ruoff: Die Zahl traumatisierter Kinder wird weiter zunehmen – wir rechnen mit einem exorbitanten Anstieg.
Diese Bedenken teilt auch Sonja Maren Möller. Sie ist Fachberaterin für die Stiftung „Ein Platz für Kinder“ in München. „Die Situation vieler Familien im Lockdown bereitet uns große Sorgen, denn wir wissen darum, dass familiäre Belastungen, die sich in der Pandemie deutlich verschärfen, einen Risikofaktor für Kindesmisshandlungen darstellen“, sagt sie. Es entsteht im ungünstigsten Fall ein Teufelskreis, in dem die kindlichen Belastungen die pandemiebedingt angeheizte familiäre Krise verschlimmern und die Gefahr von Kindesmisshandlungen weiter steigt. Gerade Kinder, die in der Familie oder dem näheren Umfeld sexuell missbraucht werden, fallen da schnell durch das Raster. Die Fachberaterin fürchtet: „Wir müssen daher davon ausgehen, dass die Zahl misshandelter oder vernachlässigter Kinder unbemerkt steigt. Wir werden die Folgen, die die Pandemie für traumatisierte Kinder hat, noch über Jahre hinweg zu spüren bekommen und arbeiten daher mit Hochdruck an noch passgenaueren Konzepten.“
Der negative Trend wird auch von der von Dezember 2020 bis Januar 2021 durchgeführten zweiten „COPSY-Studie“ (https://uke.de/copsy) der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE) in Hamburg bestätigt. Die Studie zeigt, dass fast jedes dritte Kind durch die Corona-Situation bedingt unter psychischen Auffälligkeiten leidet. Ängste und Depressionen nehmen rasant zu. Mehr als 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen klagen, dass sie sich dadurch seelisch belastet fühlen. „Das Risiko für psychische Auffälligkeiten hat sich laut COPSY-Studie fast verdoppelt“, sagt Johanna Ruoff. Die Kinder seien gereizt, können schlechter einschlafen und klagen über Kopf- und Bauchschmerzen. Jedes vierte Kind erzählt, dass in der Familie häufiger gestritten wird. „Was Kinder und Jugendliche, die der Aggression und Gewalt hinter verschlossenen Türen ausgeliefert sich, im Stillen durchmachen müssen, lässt sich nur erahnen“, fürchtet Johanna Ruoff.
Die Arbeit der Stiftung „Ein Platz für Kinder“ wird in den nächsten Jahren mit den gewaltigen Herausforderungen einer Covid-19-geschädigten Generation konfrontiert werden.